Das angeborene Saugbedürfnis oder der korrekte Umgang mit Schnuller, Daumen und Co.

19.09.2024

Wie die Bezeichnung Säugling schon vermuten lässt, hat das Saugen für Neugeborene eine zentrale Bedeutung. Das angeborene Saugbedürfnis dient nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern wirkt auch beruhigend und hilft bei der Stressbewältigung.

Bleibt das Saugbedürfnis weit über das Säuglingsalter bestehen, hat es besonders auf die Kieferentwicklung negative Auswirkungen. Häufig werden zur Befriedigung dieses Bedürfnisses der Schnuller, der Daumen, die Finger oder die Nuckelflasche herangezogen.

Bei der Befriedigung des Bedürfnisses werden im Gehirn eine Vielzahl an Botenstoffe und Hormone (z.B. Endorphine = „Glückshormon“) ausgeschüttet. Da diese körperlichen Prozesse vergleichbar mit denen einer Sucht sind, kann auch von der ersten „oralen Sucht“ eines Kindes gesprochen werden. Hierdurch wird schnell deutlich, wie wichtig der richtige und behutsame Umgang mit Schnuller und Co. ist, denn nicht das angeborene Saugbedürfnis an sich stellt ein Problem für die Entwicklung dar, sondern der unachtsame Umgang damit. 

Prinzipiell gilt: Je länger eine Angewohnheit besteht, desto schwieriger wird es werden diese abzugewöhnen. Besonders das richtige Maß an Verständnis, Konsequenz sowie die emotionale Begleitung sind in Bezug auf die Entwöhnung von großer Wichtigkeit.  

Die Nebenwirkungen von Schnuller, Daumen und Co. 

Macht man sich in Bezug auf die Evolution bewusst, weshalb Neugeborene mit einem angeborenen Saugbedürfnis zur Welt kommen, wird einem schnell klar: Es dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme. 

Gerade wenn nach der Geburt das Saugen an der Brust der Mutter sich schwierig gestaltet, sollte das angeborene Bedürfnis nicht durch einen Schnuller oder andere Nuckelgegenstände gestillt werden. Ist das Bedürfnis erst einmal gestillt, wird die Motivation des Säuglings weiter abnehmen, an der Brust der Mutter zu saugen. 

Abgesehen von den Auswirkungen bezüglich der Nahrungsaufnahme verwehren Schnuller, Daumen und Co.  der Zunge ihren Platz am Gaumen und schränken somit ihre Funktion ein. Nicht nur die Breitenentwicklung des Oberkiefers wird hierdurch beeinträchtigt, sondern nach Durchbruch der Zähne auch die Zahnstellung. Häufig entsteht ein frontal offener Biss, der das Abbeißen vorne nahezu unmöglich macht. Zudem ist die Mundhöhle, besonders in den ersten Entwicklungsjahren, ein wichtiges Sinnesorgan. Die sensomotorische Entwicklung wird durch das übermäßige Saugen an Schnuller, Daumen und Co. eingeschränkt. 

Säuglinge und Kleinkinder müssen ihre Umgebung noch entdecken. Hierbei spielt besonders die orale Exploration eine wichtige Rolle. Die „orale Exploration“ beschreibt das Begreifen und Erkunden der Umgebung mit dem Mund. Um ihre Umwelt besser zu begreifen, werden Gegenstände in den Mund genommen und mittels der Zunge, den Wangen und  der Lippen genauestens untersucht. Hierbei wird die sensomotorische Entwicklung des Mundraumes immens gefördert. Besonders im Hinblick auf die sprachliche Entwicklung hat dies einen großen Stellenwert. Um die regelrechte Entwicklung eines Kindes zu fördern, sollte daher der Mund so viele Stunden wie möglich frei von Schnuller, Daumen und Co. sein. 

Schnuller oder Daumen? 

Säuglinge nutzen das Saugen zur Beruhigung. Egal ob hierfür der Schnuller, der Daumen, Finger oder die Nuckelflasche herangezogen werden, sollte dieses Verhalten immer beobachtet werden. Da sich die Entwöhnung des Schnullers bzw. anderer Nuckelgegenstände im Vergleich zur Entwöhnung des Daumenlutschens einfacher darstellt, tendieren Eltern häufig dazu, diesen zu bevorzugen. Aus Sorge vor dem Daumenlutschen sollte jedoch kein übermäßiger Schnullerkonsum resultieren. Schnuller werden häufig als „kiefergerechte“ Medizinprodukte beworben und sollten laut Hersteller mit der Größe des Kindes mitwachsen. 

Aus kieferorthopädischer Sicht stellt der Schnuller jedoch kein kiefergerechtes Produkt dar und sollte auch nicht mit der Größe des Kindes mitwachsen. Sowohl der Schnuller als auch der Daumen verwehren der Zunge den korrekten Platz am Gaumen. Um die Nebenwirkungen eines Schnullers zu reduzieren, sollte sowohl die Dauer der Verwendung sowie die Schnullergröße so klein wie möglich gehalten werden. 

Der korrekte Umgang mit Schnuller, Daumen- und Fingerlutschen 

Prinzipiell lässt sich sagen, dass das Saugen an Schnulle und Daumen, bzw. Finger, nicht direkt eine schädliche Wirkung auf den Körper haben.

Das Saugen beruhigt, entspannt und hilft bei der Stressbewältigung und hat somit auch positive Auswirkungen auf den Körper. Vielmehr der falsche Umgang damit birgt vor allem die negativen Nebenwirkungen. Eltern sollten vor der Verwendung eines Schnullers oder bei der Beobachtung des Daumenlutschens sich ähnliche Fragen wie bei der Verwendung eines Medikamentes stellen: 

Was braucht mein Kind gerade?

Ist es tatsächlich das Saugen an Schnuller, Daumen und Co. oder reichen auch die körperliche Nähe und etwas Ablenkung? 

Wie lange sollte das Saugen an Schnuller, Daumen und Co. toleriert werden? 

Muss ein Säugling den Beruhigungssauger die ganze Nacht im Mund haben? Braucht ein Kleinkind einen Schnuller beim Spielen oder Fernsehen? Reicht es eventuell aus, das Saugbedürfnis nur in Einzelsituationen (Einschlafen/Trauer…) zu befriedigen? 

Welche Nebenwirkungen hat der Beruhigungssauger aktuell auf mein Kind? 

In welcher Entwicklungsphase befindet sich mein Kind aktuell? Ist sowohl für die sprachliche als auch sensomotorische Entwicklung meines Kindes ein freier Mundraum aktuell von großer Bedeutung? 

Entwöhnung

Die Entwöhnung des Saugbedürfnisses ist sowohl für das Kind als auch die Eltern eine große Herausforderung. Die größte Herausforderung stellt sich häufig hinsichtlich der Konsequenz. Häufig werden verschiedenste Strategien getestet – Eltern und Kind erfahren vermehrt Misserfolge. Es sollte ein Zeitpunkt gewählt werden, bei dem sowohl das Kind als auch die Eltern genügend Kapazität haben, diesen Schritt gemeinsam zu bewältigen.

Bei der Entwöhnung ist es hilfreich, alternative Rituale zu schaffen, die dem Kind Sicherheit bieten. Hierfür eignet sich das abendliche Vorlesen, Hand halten oder in den Schlaf streicheln - wichtig ist, die Kinder besonders beim Einschlafen zu begleiten. Zusätzlich sollte für Entspannung gesorgt werden. Eine Entwöhnung löst sowohl für Eltern als auch für das Kind ein großes Pensum an Stress aus. Hier können Fantasiereisen, Yoga für Kinder oder autogenes Training sinnvoll sein. Bei der Entwöhnung ist der Kreativität keine Grenze gesetzt- das Kind sollte von anderen Ritualen so gefesselt und abgelenkt sein, dass der Wunsch nach dem Schnuller/ Daumen zweitrangig wird. 

Schnullerentwöhnung

  • Den natürliche Schnullerschwund ausnützen: Keine weiteren Schnuller werden nachgekauft 
  • Schnuller einkürzen: Die Spitze des Saugers wird Stück für Stück eingekürzt 
  • Schnullerhandel: Der Schnuller wird beim Weihnachtsmann oderOsterhasen gegen ein Geschenk eingetauscht 
  • Die Schnullergeschichte: Kleine Kinder brauchen den Schnuller mehr als „große“ Kinder  
  • Schnuller einpinseln: Sobald man „groß“ ist schmeckt der Schnuller nicht mehr – Das Kind erkennt anhand des Geschmackes wie „groß“ es schon geworden ist 
  • Schnuller ausschleichen lassen: Der Schnuller wird nur noch beim Einschlafen, im Auto… genutzt ansonsten keinen Zugang zum Schnuller  

 

Daumen-/Fingerlutschen entwöhnen:  

  • Kleine Erfolge mit Belohnungen feiern: nach Tag 1, nach Tag 3, nach 1 Woche … 
  • Daumen einpinseln: Den Daumen mit einer Tinktur einpinseln 
  • Daumen einpflastern: mittels Pflaster den Daumen einbinden, Kind -- empfindet keine Befriedigung beim Saugen 
  • Atmungsaktive Handschuhe: Kind trägt in der Nacht Handschuhe, die den Zugang zum Daumen verwehren 

 

Grundsätzlich sollte man sich als Eltern bewusst sein, dass der nächste Entwöhnungsversuch zum Erfolg führen sollte und somit die Konsequenz kombiniert mit dem richtigen Maß an Verständnis die größte Auswirkung auf den Erfolg haben.  

Quellen:

  • Dr. med. dent. Andrea Freudenberg, Fachzahnärztin für Kieferorthopädie
  • Gesundheitsportal: medondo.health